von Anselm Ott und Walter Schindler
Die letzten 35 Jahre - Ein Spiegelbild der Verkehrspolitik?
Kaum ein Vertreter aus Politik und Wirtschaft äußerte in den letzten Jahrzehnten nicht den Wunsch, mehr (Güter-) Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Schon in den 1960er Jahren plante der damalige Verkehrsminister Georg Leber weitreichende Maßnahmen zur Förderung des Schienengüterverkehrs. Teilweise konnten die ambitionierten Pläne umgesetzt werden, eine nachhaltige Stärkung des Verkehrsträgers Schiene erfolgte jedoch nicht. Auch in den darauf folgenden Legislaturperioden wurden sowohl von der Politik und auch von Seiten der Eisenbahnunternehmen immer wieder Versuche unternommen, den Trend zum Straßenverkehr umzukehren. Dies ist allerdings nicht gelungen. Während 1970 noch 25,8 % des Verkehrsaufkommens (in Tonnenkilometern) mit der Eisenbahn zu ihrem Bestimmungsort gelangten, so waren es 1990 nur noch 20,6 %. In den Jahren bis 2004 konnte ein weiterer Rückgang auf 15,8 % beobachtet werden, so dass die Eisenbahn mittlerweile in vielen Bereichen nur noch eine Nebenrolle spielt bzw. sich vollständig zurück gezogen hat. In diesem Kontext agieren die zahlreichen Nichtbundeseigenen Eisenbahnen. Da diese die stark rückläufigen Verkehre auf der Schiene im Bereich von Transportweiten unter 250 Kilometern auf Grund der häufig sehr geringen Netzlänge nicht ausgleichen konnten, wurden viele Strecken schon in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg im Gesamtverkehr stillgelegt. Im Gegensatz dazu profitierten die Bahnen im Siegerland lange von einer meist mittelständisch geprägten Metallindustrie, die im Vergleich zu anderen Regionen hohe Tonnagen erreichte und so den Strecken vor Ort über Jahre hinweg eine wirtschaftliche Grundlage bot. Allerdings waren in den letzten Jahren auch im Johannland immer weniger Unternehmen bereit, die Schiene für ihre Transportaufgaben zu nutzen, so dass die wirtschaftlichen Grundlagen für einen Weiterbetrieb der Infrastruktur durch die Siegener Kreisbahn auch im oberen Sieg- und Werthetal nicht mehr existierten und die Betriebseinstellung die logische Folge war. Somit ist die Johannlandbahn ein Spiegelbild der in der Vergangenheit und aktuell betriebenen Verkehrspolitik. Im Unterschied zu vielen anderen Kleinbahnen konnte der Güterverkehr auf der Kleinbahn Weidenau-Deuz in den 1950er und 1960er Jahren stark gesteigert werden. In den 1970er und 1980er Jahren sorgten im Wesentlichen die nachfolgenden Unternehmen für ein hohes Frachtaufkommen: Bergrohr, Benteler, Gräbener (Großrohre); Waggon-Union (Eisenbahnfahrzeuge); Kölsch-Fölzer-Werke (Anlagenbau); Irle (Walzen); diverse Unternehmen im Bereich Schrott- und Metallhandel. Ein Teil der Unternehmen, insbesondere die Hersteller der Großrohre, wurde oftmals von Ganzzügen bedient, die außerhalb des regulären Betriebes gefahren wurden und teilweise mehr als 1.000 Tonnen Last aufwiesen. In den nachfolgenden Jahren gelang es, das Aufkommen auf kontinuierlich über 400.000 t zu steigern. Im Rekordjahr 1984 wurden 614.168 t befördert.
Leistungen im Güterverkehr von 1970 bis 1995
Jahr beförderte Tonnen Jahr beförderte
Tonnen
_____________________________________________________
1970 387.729 1983 482.535
1971 375.699 1984 614.168
1972 345.846 1985 537.213
1973 398.047 1986 435.268
1974 477.808 1987 344.117
1975 407.814 1988 447.896
1976 474.909 1989 450.676
1977 445.589 1990 390.288
1978 464.828 1991 315.938
1979 477.905 1992 268.919
1980 470.662 1993 160.029
1981 527.138 1994 134.684
1982 389.124 1995 134.686
Daneben gab es eine größere Anzahl weiterer Betriebe, die regelmäßig die Bahn nutzten. Ebenso wurden in den Bahnhöfen vor Ort größere Mengen Güter über die Freiladegleise umgeschlagen. Ein Neubau von Gleisanschlüssen war in diesen Jahren in einigen Fällen angestrebt. Zu den leider nicht verwirklichten Projekten gehört ein aufwändiger Gleisanschluss – mit einer Querung der Sieg – für das Unternehmen Fischer Profil in Deuz, für den durch die Siegener Kreisbahn schon Grundstücksflächen angekauft waren. Eine endgültige Realisierung scheiterte an Differenzen zwischen den beteiligten Unternehmen und der Politik. Ende der 1970er Jahre teilten sich zwei Lokomotiven vom Typ R 42 C werktags den planmäßigen Güterverkehr; eine dritte Lok kam bei Bedarf als Verstärkung hinzu:
Ab Mitte der 1980er Jahre nahm die Anzahl der benutzten Gleisanschlüsse spürbar ab. Bei den Unternehmen sorgte der LKW für immer stärkere Konkurrenz und letztendlich zur Abwanderung von der Schiene. Auch machte sich die Produktionsein- bzw. -umstellung bei einigen Unternehmen negativ bemerkbar. Die Kölsch-Fölzer-Werke AG meldete 1983 Konkurs an, 1990 stellte die Firma Benteler den Bau von Großrohren am Standort Weidenau ein, Mitte der 1990er Jahre folgte das Unternehmen Gräbener in Werthenbach. Die schon seit Anfang der 1950er Jahre immer weiter rückläufige durchschnittliche Transportweite (1952: 5,90 km; 1960: 5,00 km; 1967: 4,04 km) sank weiter, wie der Vergleich mit der Tabelle für die Jahre 1986 bis 1988 zeigt, als sich der Güterverkehr hauptsächlich auf den Streckenbereich bis Dreis-Tiefenbach konzentrierte.
Jahr beförderte Tonnen- durchschnittliche
Tonnen kilometer Transportweite (km)
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1986 435.268 1.256.033 2,89
1987 344.117 1.192.976 3,47
1988 447.896 1.431.475 3,20
Insbesondere der Abschnitt ab dem Bahnhof Dreis-Tiefenbach wurde durch diese Umstände schwer getroffen. Ein nennenswertes Frachtaufkommen war hier in den letzten Jahren des Betriebes kaum noch vorhanden. Während zu Beginn der 1990er Jahre oftmals noch ein Lager der Firma SSI Schäfer im Industriegebiet zwischen Dreis-Tiefenbach und Netphen und die Firma Gräbener in Werthenbach bedient wurden, fielen die Fahrten in dem Abschnitt zwischen Deuz und Irmgarteichen/Werthenbach ab Ende 1995 an den meisten Werktagen komplett weg. Nur sporadisch transportierte man hier Holz ab, oder die Bahnhofsgleise wurden zur Abstellung von Güterwagen der „Waggon-Union“ genutzt. Es wurden sowohl Wagen hinterstellt, die dem Unternehmen als Arbeitsvorrat dienten, als auch Wagen, die auf die Auslieferung zum Endkunden warteten. Einzig der Zwischenwerksverkehr des Unternehmens Walzen Irle in Deuz führte dazu, dass regelmäßig eine Lokomotive der Siegener Kreisbahn ins Johannland kam. Für eine beschränkte Zeit nutzte 1997/98 die Firma Fuchs Rohr die Hallen der Firma Gräbener als Zwischenlager für Stahlrohre, so dass zeitweise ein höheres Transportvolumen anfiel. Ein Lichtblick war die Ansiedlung der Spedition Pracht zu Beginn des Jahres 1999, die ebenfalls das Gelände der Firma Gräbener in Werthenbach nutzte, so dass hier wieder vermehrt Wagen zugestellt werden konnten. Ladegut waren hier fast ausschließlich schwere Coils. Heute werden die Coils für die Firma Pracht per LKW an- und abgefahren. Allerdings erreichte das Transportaufkommen auf der Schiene zu keiner Zeit das der 1980er Jahre. Das Frachtaufkommen belief sich auf eine niedrige fünfstellige Tonnage. Dies bedeutete bis zu 250 Güterwagen jährlich. Ein Grund dafür, dass das Aufkommen nicht höher war, lag darin, dass die Strecke nicht mit Achslasten von 22,5 t (Streckenklasse D) zu befahren war. Dadurch konnte nicht die maximale Zuladung der eingesetzten Wagen ausgeschöpft werden. Einzig im Bereich des Weidenauer Vorbahnhofes und im Industriegebiet Herrenwiese konnte in den Jahren nach 2000 ein regelmäßig hohes Frachtaufkommen verzeichnet werden. Wesentlicher Kunde ist hier bis heute die Firma Bergrohr, die schwere Großrohre produziert und so für eine hohe Tonnage sorgt. Daneben bringen zwei Unternehmen im Bereich Metallhandel bzw. -recycling der Bahn ebenfalls ein nicht unerhebliches Frachtaufkommen.
Leistungen im Güterverkehr von 1996 bis 2005
Jahr beförderte Tonnen Jahr beförderte
Tonnen
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1996 136.702 2001 133.282
1997 119.223 2002 110.073
1998 130.078 2003 113.789
1999 103.726 2004 92.750
2000 111.817 2005 105.067
Am 28. Mai 2004 endete der Güterverkehr auf dem Abschnitt zwischen dem Bahnhof Dreis-Tiefenbach und dem Endpunkt der Strecke in Irmgarteichen/Werthenbach, Anschluss Gräbener. Die betriebliche Sperrung der Strecke ab Ausfahrt Bahnhof Dreis-Tiefenbach erfolgte am 7. Juni 2004 um 11.20 Uhr nicht zuletzt wegen des schlechten Zustands des Oberbaus als Folge der jahrzehntelangen Investitionszurückhaltung. Zu diesem Zeitpunkt wurde nämlich in Streckenkilometer 10,9 unterhalb des Bahnhofs Deuz ein fünf Meter langes Gleisstück entfernt. Anschließend fixierte man im Bahnhof Deuz eine Weiche so, dass sie nur noch für den Pendelverkehr zwischen den beiden Werken der Walzengießerei Irle genutzt werden kann. Mit dieser Maßnahme soll verhindert werden, dass ein in Deuz ablaufender Güterwagen unkontrolliert in Richtung Netphen durchrollt. Die formale Stilllegung erfolgte schließlich am 25. Oktober 2004. Als Lokfahrt kam am 29. Mai 2004 Lok 33 der Siegener Kreisbahn GmbH letztmalig nach Deuz und wurde in Werk I der Firma Irle untergestellt. Seitdem fährt der Lokführer der Kreisbahn, wenn er in Weidenau mit der Vormittags-Zustellung fertig ist, mit seinem PKW oder dem Omnibus nach Deuz und übernimmt für etwa eine Stunde den Pendelverkehr zwischen Werk I und Werk II.
Der zuletzt verbliebene Güterverkehr auf dem 2004 stillgelegten Streckenabschnitt stellte sich wie folgt dar:
Wurden Perspektiven versäumt?
Leider muss festgestellt werden, dass trotz aller Beteuerungen das Interesse am Güterverkehr auf der Bahn in dem regionalen Kontext des Siegerlandes als gering eingestuft werden kann. Sowohl die vor Ort aktiven Unternehmen als auch die Politiker haben bisher nur ein geringes Engagement gezeigt, wenn es darum ging, Verkehre auf der Schiene zu erhalten bzw. neue zu gewinnen. Kommt es auf Seiten der Politik und der Wirtschaft zu einem Umdenken, so könnte die Strecke der Kleinbahn Weidenau-Deuz wieder eine bessere Zukunft vor sich haben. So sind in erster Linie in folgenden Bereichen Potenziale zu erkennen:
Für eine Reaktivierung der Johannlandbahn sprechen nach wie vor die im Vergleich zu anderen Bahnstrecken sehr hohen Potenziale, sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Ein solches Vorhaben würde einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen bringen. Eine ausschließliche Wiederbelebung des Güterverkehrs dürfte zudem erheblich günstiger sein als die am 31. Januar 2004 in der Ausschreibung der Siegener Kreisbahn GmbH genannten 6 Mio. Euro.
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