Verkehrsclub Deutschland

VCD Archiv zum Verkehr in der Region Siegen-Wittgenstein und Olpe 1989 - 2023

Achim Walder

2000

Differenzierte Bedienungsformen im ÖPNV in Deutschland

Achim Walder, Krokusweg 1, d-57223 Kreuztal
Rural Transport 2000 - Transport Solutions to Sustain the Rural Economy
International Conference at Mancaster University Thursday 6th an Friday 7th April 2000

Kurzer Überblick der Systeme in Deutschland: Ruftaxi, Theater-Sammeltaxi, Frauen-Nachttaxi, Linien-Taxi, Anruf-Linien-Taxi, Anruf-Sammel-Taxi, Ruf-Bus, BürgerBus.

Ruftaxi: Als besondere Serviceleistung bieten fast alle Verkehrsbetriebe das Ruftaxi an. Dabei bestellt der Busfahrer über Funk kostenlos ein Taxi zu der vom Fahrgast angegebenen Haltestelle. Für die Weiterfahrt muss der Fahrgast den normalen Taxitarif zahlen. Dieser Service beschränkt sich meist nicht nur auf den Spätverkehr, sondern ist auch ganztägig möglich. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass ein ganztägiger Einsatz wesentlich lukrativer ist. In Hannover haben von Juni 1986 bis April 1987 6.500 Fahrgäste diesen Service in Anspruch genommen, mit einem Frauen-Anteil von 57%.
Theater-Sammeltaxi: Der Start des Theater-Sammeltaxis 1978 in Solingen kann als Einstieg in das differenzierte Angebot im ÖPNV gelten. Es war die erste neue Einsatzform des Taxis im ÖPNV und muss als der eigentliche Vorläufer des AST angesehen werden. Diese Einrichtung gibt es mittlerweile in vielen Städten. Fahrtwunsch und Fahrscheinverkauf müssen i.d.R. in der Pause der Veranstaltung erledigt werden. Danach wird der Bedarf ermittelt. Initiiert und finanziert wird diese Einrichtung oft von den Kulturämtern der jeweiligen Stadt. In Solingen sind 83% der Fahrgäste Frauen, 70% sind über 50 Jahre alt. Die Verkehrsbetriebe müssen sich fragen lassen, warum sie bei der Akzeptanz, die bedarfsger echter Theaterverkehr beim Publikum offensichtlich findet, diesen Verkehr nicht in eigener Regie durchführen.
Frauen-Nachttaxi (FNT): Verschiedene Städte erprobten Frauen-Nachttaxis seit 1984. Die objektiven und subjektiv empfundenen Gefährdungen, denen Frauen nachts an Haltestellen und auf dem Nachhauseweg ausgesetzt sind, waren Ausgangspunkt für die Modellversuche mit Frauen-Nachttaxen, die zu günstigen Preisen ausschließlich Frauen beförderten. Das Bielefelder Beispiel, bei dem im April 1986 nach zweieinhalb Wochen die zur Verfügung gestellten 200.000 DM verbraucht waren, erlangte dabei den höchsten Bekanntheitsgrad. In der Stadt Maintal bei Frankfurt werden Frauen und Mädchen ab 14 Jahre bis 5 Uhr früh nach Voranmeldung zum Einheitspreis von 2,50 DM befördert. In Flensburg können ab 22 Uhr Jugendliche nur in Begleitung Erwachsener das Frauen-Nachttaxi für 3.?DM benutzen. Andere potentielle Benutzergruppen, wie Senioren, fordern ebenfalls ein Nachttaxi. Diese Bedienungsform ist jedoch nicht kostendeckend zu finanzieren, wie alle Modellrechnungen ergaben und der erste Bielefelder Versuch anschaulich belegt. Probleme ergeben sich auch, weil das FNT gegen die Beförderungspflicht des PBefG und den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt.
Linien-Taxi: Busunternehmen setzen auf Linienwegen mit wenigen Fahrgästen und engen Straßen LinienTaxen ein. Hierzu werden Taxiunternehmen beauftragt, nach festem Fahrplan und für die Fahrgäste nach ÖV-Tarifen zu fahren. Es handelt sich dabei meist um PKWs mit 8 Sitzen und Schiebetüren.
Anruf-Linien-Taxi: Das Anruf-Linientaxi wird von Verkehrsunternehmen in Schwachlastzeiten auf dem Linienweg des Linienbusses eingesetzt. Der Fahrtwunsch des Fahrgastes ist bei der Betriebszentrale des Verkehrsunternehmens 30 bis 60 Minuten vorher telefonisch anzumelden. Das ALT befährt als Ersatz den normalen Linienweg des Busses, nimmt jedoch aus Kapazitätsgründen nur vorangemeldete Fahrgäste mit. Im ALT werden die normalen Busfahrkarten zum gleichen Tarif verkauft. Eine Flächenerschießung wird nicht erreicht.
Anruf-Sammel-Taxi: Das AST ist ein Zusatzangebot zum normalen Linienverkehr. Einige Verkehrsunternehmen stellen in Schwachlastzeiten von Bus- auf AST-Verkehr um. Andere erschließen dünnbesiedelte Stadt- oder Gemeindeteile, die nur mit langen mäandernden Bus-Linienverläufen einbezogen werden könnten, mit AST. Der AST-Tarif ist meist eigenständig und zusätzlich wird ein Komfortzuschlag erhoben. Weitere Erklärungen später.
Ruf-Bus: Das System RufBus ist dem AST vergleichbar mit dem Unterschied, dass anstelle der Taxen Busse unterwegs sind und dabei weitgehend einen Linienkorridor einhalten. Kleine Abweichungen zum Aussteigen oder vorangemeldeten Einsteigen sind möglich. Der Tarif ist üblicherweise der Bustarif. Der Rufbus verkehrt überwiegend den ganzen Tag in Ortsteilen mit wenigen Fahrgästen.
BürgerBus: Nach Beispielen aus dem Ausland wurden in Deutschland in den Bundesländern unterschiedliche Bürgerbus-Projekte gestartet. In Nordrhein-Westfalen betreiben Vereine mit ehrenamtlicher Arbeit den Busverkehr. Das bedeutet, dass alle Tätigkeiten ohne Bezahlung geleistet werden, als Dienst von Bürgern für Bürger. Mit den eingenommen Fahrpreisen, Subventionen des Landes und Werbeeinnahmen werden die Sachkosten gedeckt. Als Vorsitzender des Vereins BürgerBus-Kreuztal kenne ich diese Form besonders gut. Wir befördern in einer Stadt mit 35.000 Einwohnern mit einem Fahrzeug jährlich etwa 10.000 Fahrgäste, darunter überwiegend ältere Frauen zu Einkauf und Arztbesuch aus den Stadtteilen ins Zentrum.

AST - Vorteile für Fahrgast und Betreiber

Fahrtanmeldung: Fahrten im AST-Verkehr werden nur dann durchgeführt, wenn sich ein Fahrgast für eine Fahrt anmeldet. Für diese Anmeldung wird eine AST-Zentrale mit besonderer Rufnummer eingerichtet. Zur rechtzeitigen Bereitstellung der erforderlichen Fahrzeuge wird für die Anmeldung eine Frist gesetzt, in der Regel 30 Minuten vor der jeweiligen Abfahrtzeit.
Abfahrtstellen: Der Zustieg erfolgt an gekennzeichneten Abfahrtstellen. Dies sind in der Regel zunächst vorhandene Haltestellen des Linienverkehrs. Zusätzliche Abfahrtstellen werden dort eingerichtet, wo die Siedlungsstruktur dicht genug ist und bisher keine öffentliche Verkehrsbedienung erfolgt. Zusätzliche Abfahrtstellen werden besonders dort eingerichtet, wo aufgrund topographischer oder baulicher Gegebenheiten der Linienbus nicht verkehren kann.
Zielgebiet: Innerhalb des im Fahrplan ausgewiesenen Zielgebietes (dies ist in der Regel das Gebiet innerhalb der kommunalen Grenzen) wird der Fahrgast zu seinem persönlichen Fahrziel, d.h. auf Wunsch bis vor die Haustüre befördert. Dabei ist eine gemeinsame Beförderung von Fahrgästen mit ähnlichen Quelle-Ziel-Relationen beabsichtigt. Die individuelle Zielbedienung wird durch den Einsatz von kleineren Fahrzeugen (z. B. Taxen) begünstigt.
Fahrzeiten: Das Angebot im AST-Verkehr stellt sich durch einen Fahrplan dar, nach dem zu bestimmten Zeiten Fahrten stattfinden können. AST-Fahrpläne sehen einheitliche Abfahrtzeiten für Abfahrtstellen innerhalb eines geschlossenen kleinräumigen Gebietes vor, um die einbezogenen Haltestellen flexibel und variabel bedienen zu können. Systembedingt kann sich eine Abfahrt folglich um wenige Minuten verzögern, wenn mehrere Fahrgäste an verschiedenen Abfahrtstellen abzuholen sind. Auf diese Systemeigenschaft des AST-Verkehrs wird jedoch bereits in der Fahrgastinformation hingewiesen.
Fahrpreise: Die Fahrpreise sind meist in einem gesonderten AST-Tarifzonensystem geordnet und liegen über denen des Linienverkehrs. Dennoch liegen sie deutlich unter den Tarifen des Taxenverkehrs für vergleichbare Relationen. Dies wird mit der Zu-Haus-Beförderung begründet. In den Tarifbestimmungen der Verkehrsverbünde und Verkehrsgemeinschaften sind AST-Fahrten in der Regel mit einem Sondertarif belegt, der keine vollständige tarifliche Integration in das Gesamtangebot des ÖPNV bietet, d.h. beim Umsteigen auf ein anderes Verkehrsmittel ist ein zusätzlicher Fahrpreis zu entrichten.
Fahrwege: Possible depature Points: Der Fahrweg des AST wird von der Zentrale festgelegt und richtet sich nach den Zielen der vorangemeldeten Fahrgäste. Er ist nicht der kürzeste, sondern die Fahrt beginnt an der Haltestelle, die zuerst geordert wurde. Danach werden die nächsten Fahrgäste eingesammelt. Daher der Name Sammeltaxi. Durch geschickte Kombination können Fahrzeit und Fahrweg reduziert werden. Jeder AST-Fahrgast bezahlt seinen Fahrpreis und der letzte quittiert dem Fahrer die Taxifahrt. Besonderheiten: Einige Städte haben Sonderangebote für AST-Benutzer entwickelt. Z.B. wurde auf den Fahrschein ein Gutschein aufgedruckt, den Geschäfte und Betriebe einlösen.
Auch wurden Sondertarife für Jugendliche eingerichtet, damit diese besonders am Wochenende abends kostengünstig und sicher nach Hause kommen.
Wie funktioniert das AST nun praktisch: Das möchte ich Ihnen an zwei fiktiven Beispiel erklären: Frau Meier möchte mit ihrer Freundin zum Seniorentreff ins Gemeindehaus. Sie weiß, wo sich die AST-Abfahrhaltestelle in der Nähe ihrer Wohnung befindet. Im AST-Fahrplan sucht sie die entsprechende AST-Abfahrtszeit heraus und ruft die Telefonnummer der AST-Zentrale an. Dort bestellt sie ein AST für zwei Personen zum Gemeindehaus und nennt Abfahrtshaltestelle und gewünschte AST-Abfahrtszeit. Da sie schon weiß, wann sie wieder zu Hause sein muss, um das Mittagessen vorzubereiten, bestellt sie auch gleich die Rückfahrt für eine Person, denn ihre Freundin will noch länger bleiben. Nach Bestätigung der Fahrt bereiten sich beide vor, ziehen die Mäntel an und begeben sich zur AST-Haltestelle. Als das AST kommt, ist schon eine Frau im AST, die beiden Damen steigen zu. Das AST fährt jedoch nicht direkt zum Gemeindezentrum, sondern erst noch zum Krankenhaus, das auf dem Weg liegt und das Ziel der ersten Frau ist. Doch dann wird auf direktem Weg das Gemeindehaus angesteuert. Beide bezahlen den AST-Fahrpreis und quittieren die AST-Fahrt dem Taxifahrer. Ein wichtiges zweites Beispiel: Tochter Sonja möchte mit Freunden in die Disko. Vater fährt die drei jungen Damen hin. Da jedoch die Disko meist bis weit nach Mitternacht geht, will er nicht solange abends vorm Fernseher sitzen, um dann um 2 Uhr wieder mit dem Auto zur Disko zu fahren. Er weiß, dass seine Tochter mit dem AST zurück kommt. Das AST bringt die Tochter bis vor die Haustür, sodass auch der Weg durch die Siedlung von der Bus-Haltestelle bis nach Hause entfällt.
AST für Betreiber: AST-Fahrten werden meist von Taxen- und Mietwagenunternehmen durchgeführt, die über die notwendigen Infrastrukturen verfügen. Sie erbringen die Fahrleistung im Auftrage eines Verkehrsunternehmens. Modalitäten der Betriebsdurchführung und Abrechnung regelt ein zwischen beiden Unternehmen abzuschließender Vertrag. AST-Fahrten haben wegen ihrer Fahrplanbindung Vorrang vor normalen Taxifahrten. Durch geschickten Fahrzeugeinsatz kann der Betrieb Vorteile erreichen, z.B. Reduzierung von Standzeiten oder Leerfahrten.
Betriebskosten Bus / AST: Vielerorts fahren AST-Verkehre nur etwa zu 20 bis 30 % kostendeckend. Trotz des geringen Grades ist der Kostenaufwand aber noch günstiger als bei vergleichbarem Angebot mit Linienbussen. Die Betriebskosten für Fahrleistungen des Taxibetriebs werden durch die Fahrgeldeinnahmen und die Vergütungen des Auftragsgebers ausgeglichen.
Konzession: AST-Verkehre sind genehmigungspflichtig nach dem Personenbeförderungsgesetz. In Nordrhein-Westfalen erfolgt diese Genehmigung nach §42 (Linienverkehr) in Verbindung mit § 2 Abs. 6 (Zuordnung nicht eindeutig genannter Betriebsformen zu einer Verkehrsart).
In der Regel wurde die Berechtigung (Konzession) öffentlichen Linienverkehr zu betrieben, einem ortsansässigen Verkehrsunternehmen erteilt. Möchte nun eine Kommune AST-Verkehr einrichten, müssen die Bedingungen und Kosten mit dem Verkehrsunternehmen vertraglich geregelt werden.
Fazit: Welche der vorgestellten differenzierten Betriebsformen sich am besten für einen bestimmten Einzelfall eignet, hängt von vielen Detailfragen ab. Oft bietet aber gerade das Anruf-Sammeltaxi entscheidende Vorteile. Grenzen der Einsatzmöglichkeiten insbesondere des AST können sich aus Gründen der Kapazität oder auch aus Kostengründen ergeben. In jedem Fall ist eine genaue Ermittlung aller beteiligter Faktoren notwendig, um das geeignetste System auszuwählen. Kommunen, die die Mobilität ihrer Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen, können entweder das Verkehrsunternehmen mit AST beauftragen oder selber als Betreiber tätig werden. Der Betriebszuschuss, den ein AST in jedem Fall benötigt, ist dann aus dem kommunalen Haushalt zu bezahlen.

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Redaktion: Achim Walder - Ingrid Walder
Text: Achim Walder und Freunden
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