Bürgerbusse in Deutschland

Bürgerbusse: Die Zukunft des ÖV in der Fläche?
Bürger fahren für Bürger

Berlin 10-11-2010 - BMVBS-Workshop 'Vernetzung für Mobilität'
Vortrag Achim Walder, Büro für integrierte Verkehrsplanung und Stadtentwicklung

Zu den Aufgaben von Städten und Gemeinden gehört neben der Wasser- und Stromversorgung auch ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr. Mit einer Infrastruktur, die auf Autofahrer ausgerichtet ist, lassen sich Mobilitätsbedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die kein Auto besitzen, nicht bedienen.
Wer versucht, die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen von heute mit einer ÖPNV-Struktur von gestern zu befriedigen, wird die Bevölkerung immer mehr zum Auto drängen. In den letzten Jahren wurden die Verkehrsnetze im ÖPNV laufend ausgedünnt. Besonders die leeren Kassen der Kommunen werden zu einer weiteren Reduzierung führen. Diesem Trend ist entgegenzutreten, damit nicht ein großer Teil unserer Bevölkerung von der Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben abgeschnitten wird.

Die Idee - Bürgerbus

Konzept In Großbritannien wurde zum ersten Mal die Idee in die Praxis umgesetzt, den öffentlichen Personennahverkehr durch den Einsatz des PeoplesBus kostengünstiger zu gestalten. Mit ehrenamtlich tätigen Fahrerinnen und Fahrern entstehen keine Personalkosten, die normalerweise einen großen Teil der Betriebskosten im ÖPNV darstellen. Da der BürgerBus ausschließlich von solchen Personen gesteuert wird, können günstige Fahrpreise angeboten werden. Der BürgerBus-Verkehr unterliegt als allgemein zugänglicher und nach festen Fahrplänen betriebener Linienverkehr der Genehmigung nach §42 Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Demzufolge treten die örtlich zuständigen Verkehrsunternehmen bzw. -inhaber der Linienkonzession als Antragsteller und Betreiber auf und sind verantwortlich für Betrieb, Fahrzeug und Personal. Aber auch Kommunen können Konzessionsinhaber bzw. Genehmigungsinhaber und Betreiber sein. Voraussetzung ist, dass sie die Bedingungen des §42 PBefG erfüllen. Schon im Jahr 1983 rief der damalige Minister für Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) das förderungswürdige Pilotprojekt BürgerBus ins Leben.Von Anfang an stand fest, dass - wie auch bei anderen differenzierten Bedienungsmodellen - der BürgerBus nicht mit dem bestehenden ÖPNV-Angebot in Konkurrenz treten soll. Voraussetzung für die Umsetzung ist ein leistungsfähiger BürgerBus-Verein, der das ehrenamtlich tätige Personal betreut und dessen Einsatz steuert. Ohne diese vereinsrechtliche Grundlage können die BürgerBusse nicht existieren. Ein Kleinbus mit maximal acht Sitzplätzen, der mit einem Führerschein Klasse 3 und einen Fahrgastbeförderungsschein gefahren werden kann, dient als BürgerBus. Finanziert wird das Fahrzeug durch einen Zuschuss des Landes NRW. Geplant sind ab 2010 folgende Förderquoten: - 40.000 € für den ersten Bürgerbus zum Start eines Bürgerbusprojektes - 35.000 € für die Nachfolgefahrzeuge - 45.000 € für behindertengerecht ausgebaute Bürgerbusse - zusätzliche Förderung für innovative und energiesparende Antriebe.
Diese Förderung ist an eine Zweckbindungsfrist von 7 Jahren gekoppelt und wird durch eine Organisationspauschale von 5.000 € pro Jahr ergänzt (z. B. für Vereinsführung, Europa-Führerscheine, Untersuchungen und Tests der Fahrer/innen, Sicherheitstraining, Erste-Hilfe-Kurse, Buchhaltung, etc.). Mittlerweile gibt es über 100 BürgerBus-Vereine in NRW, einige weitere in anderen deutschen Bundesländern und im Ausland.
Umsetzung Die Realisierbarkeit einer BügerBus-Linie ist an mehrere Voraussetzungen geknüpft. Folgende Bedingungen müssen erfüllt sein: Ein Initiatoren-Team gründet den BürgerBus-Verein. Der Verein schließt einen Kooperationsvertrag mit einem örtlichen Verkehrsunternehmen. Fahrplan und Linienweg werden erstellt. Die Kommune übernimmt eine Bürgschaft. Beim Land NRW wird ein Förderantrag auf Bezuschussung des Busbetriebs gestellt. Das kooperierende Verkehrsunternehmen bestellt das einzusetzende Fahrzeug. Fahrerinnen und Fahrer erhalten eine Schulung. Abschluss einer Haftpflicht- und Rechtschutzversicherung und Beitritt zur Berufsgenossenschaft.
Die potenziellen Fahrerinnen und Fahrer müssen folgende Anforderungen erfüllen: Alter muss über 21 Jahren liegen, Besitz des Führerscheins Klasse 3, Nachweis von drei Jahren Fahrpraxis, ärztliche Feststellung der gesundheitlichen Tauglichkeit, Absolvierung eines Leistungstests beim TÜV.
Im Anschluss an die Fahrer/innen-Ausbildung zu Linienkunde,Tarifangebot, Betriebsvorschriften, Erste-Hilfe-Kurs und Sicherheitstraining werden die Haltestellen eingerichtet.

BürgerBus und Kommune

Öffentlicher Personennahverkehr auf der Straße wird in NRW von den Gebietskörperschaften organisiert und von den Verkehrsbetrieben erbracht. In den ländlichen Gebieten in NRW befahren die Busse meist nur die Regionen, die auch eine entsprechende Zahl von Fahrgästen erwarten lassen, wie es für einen kostendeckenden ÖPNV erforderlich ist. Siedlungsgebiete abseits des Linienweges werden nicht bedient. Mobilitätsbedürfnisse der dort lebenden Menschen müssen mit dem Auto organisiert werden.
Agenda 21: Die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs ist ein Thema im 'Agenda 21'-Prozess, der bei der Eigenverantwortung der Kommunen ansetzt. Im Rahmen von 'Agenda 21'-Prozessen wurden in einigen Gemeinden BürgerBus-Vereine gegründet, die den ÖPNV-Fahrbetrieb selbst organisieren. Sie tragen erheblich zu einer Reduzierung überflüssiger Autofahrten und des damit einhergehenden Kohlendioxid-Ausstoßes bei.
Soziales Engagement: BürgerBusse werden von Bürgern für ihre Mitbürger betrieben. Welche sozialen Aufgaben übernimmt der BürgerBus? Entsprechend den Erfahrungen, die der Autor als Vorsitzender der BürgerBus-Vereine Kreuztal und Bad Laasphe gewonnen hat, sind diese Aufgaben vielfältig. Da sind zunächst einmal kommunikative Elemente: Der überwiegende Teil der BürgerBus-Fahrgäste sind Frauen im Alter zwischen 60 und 80 Jahren. Sie haben nur wenige Gesprächspartner und sind aus diesem Grund besonders dankbar für Bekanntschaften mit den Fahrerinnen bzw. Fahrern oder auch anderen Fahrgästen. Auch finden sich alte Bekannte wieder, waren z. B. Fahrer/in und Fahrgast in derselben Schule oder Schulklasse.
BürgerBus-Fahrerinnen übernehmen aber auch weitergehende Tätigkeiten: Da wird schon mal eine Waschmaschine angeschlossen, ein Wasserhahn repariert oder eine Hecke geschnitten. Auch während des normalen Fahrdienstes werden kleinere Hilfestellungen erbracht: So werden Lebensmittel auch in die Wohnung getragen, wird ein vergessener Mantel noch aus der Wohnung geholt oder auch noch auf einen Fahrgast gewartet, der bekanntermaßen immer bei der entsprechenden Fahrt 'an Bord' ist. Die Wirkung derartiger Dienstleistungen und zwischenmenschlichen Kontakte zeigt sich besonders vor Weihnachten, wenn es von einigen Fahrgästen Geschenke für das Fahrpersonal gibt (Süßigkeiten, selbstgestrickte Socken oder Ähnliches).

BürgerBus-Fahrgäste

Ausgehend von einer Untersuchung, die das Büro für integrierte Verkehrsplanung und Stadtentwicklung - Begleiter beim Aufbau des BürgerBus Kreuztal - auf der Grundlage einer Befragung durchgeführt hat, lassen sich zur Struktur der Fahrgäste sowie zur Motivation und Häufigkeit der BürgerBus-Nutzung folgende Aussagen treffen:
Struktur: Die meisten Fahrgäste (77 %) sind älter als 50 Jahre und weiblich (88 %). Sie besitzen in der Regel weder Führerschein noch Auto. Allein die Personengruppe der 61-70jährigen stellt 40,7 % der Nutzer/innen, während die unter 21-Jährigen nur 6,3 % der Fahrgäste ausmachen.
Motivation: Von entscheidender Bedeutung für die Nutzung des BürgerBus sind konkrete Grundbedürfnisse des täglichen Bedarfs, die sich auf diese Weise befriedigen lassen. Überwiegender Fahrtzweck ist mit 45 % der Nennungen die Erledigung von Einkäufen, gefolgt von 17 % für Arztbesuche. Dem Freizeitbereich sind 30 % der BürgerBus-Nutzungen zuzuordnen. Nur ein kleiner Teil entfällt auf Arbeits- und Ausbildungsfahrten (5 %) oder auf Zubringerdienste zu anderen Verkehrsmitteln (unter 1 %). Die ermittelte Bedeutungslosigkeit des BürgerBus im Berufs- und Ausbildungsverkehr hängt mit der geringen Fahrtenzahl zusammen. Dieser Fahrtenzweck dürfte häufiger im Spiel sein, wenn der Fahrplan des BürgerBus-Fahrdienstes verdichtet würde.
Nutzungshäufigkeit: Die BürgerBus-Frequentierung gibt zum einen Aufschluss darüber, ob die Einrichtung eines solchen Dienstes überhaupt richtig war. Aus den Angaben lässt sich zum anderen auch konkret errechnen, wie viele Bürgerinnen und Bürger durch den BürgerBus befördert werden. Fast die Hälfte der Fahrgäste gab an, einmal pro Woche den BürgerBus zu nutzen.

BürgerBusse - und vorher?

Die Frage, wie sich BürgerBus-Benutzer/innen vor Einrichtung dieses Angebots fortbewegt haben, ist von besonderem Interesse für die Betreiber bisheriger Buslinien. Oft wurde der Verdacht geäußert, die BürgerBus-Fahrgäste hätten vorher den bestehenden Linienverkehr genutzt. In vielen Fällen befahren die BürgerBusse jedoch eigene Linienwege mit nur wenigen Verknüpfungspunkten zum bestehenden ÖPNV. Sie befahren meist enge und verwinkeite Wohngebiete, abseits des bestehenden ÖPNV.
Die Befragung ergibt, dass die BürgerBusFahrgäste früher überwiegend von Familienangehörigen (37 % oder Nachbarn (20 %) ins Stadtzentrum mitgenommen wurden und dass etwa jede/r Dritte diese Wege per Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt hat. Lediglich 5 % der BürgerBus-Fahrgäste gingen früher zu den weiter entfernten Haltestellen der Linienbusse.

Kostenrechnung für den BürgerBus Kreuztal

In Kreuztal (Siegerland) wurde das BürgerBus-Projekt in folgender Größenordnung konzipiert: zweimalige morgendliche Anbindung der Wohngebiete, und zwar montags bis freitags. Das bedeutet eine jährlich zu absolvierende Kilometerleistung von ca. 45.000 km mit dem BürgerBus-Fahrzeug. Zusätzliche Angebote (am Wochenende und abends, etwa speziell für Jugendliche) sind nicht vorgesehen. Das Konzept sieht vor, durch Werbeeinnahmen eine Kostendeckung zu erreichen.
Als Fahrzeug ist in Kreuztal ein barrierefreier Kleinbus mit maximal acht Sitzen vorgesehen. Der Kaufpreis beträgt ca. 90.000 € mit Umbau und neuer Sitzanordung, elektrischer Schiebetür. Das Land NRW gewährt den BürgerBus-Vereinen alle sieben Jahre einen Zuschuss von 65.000 € für die Erstbeschaffung und 60.000 € für das Nachfolgefahrzeug. Die nachfolgenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Kreuztal orientieren sich an verschiedenen BürgerBus-Projekten im Land NordrheinWestfalen.
Betriebstage und -zeit: Montag bis Freitag, ausgenommen Feiertage, von 7.30 Uhr bis 18.30 Uhr
Linienangebot: Die Gesamterschließung des Stadtgebietes mit einer einzigen BürgerBus-Linie ist technisch nicht möglich, da die Fahrzeiten einer Linie nicht länger als 30 Minuten betragen sollen. Ein Parallelverkehr mit bestehenden Linien des ÖPNV ist zu vermeiden, weil dies die Wirtschaftlichkeit dieser Linien reduzieren und eventuell zu deren Einstellung führen würde.
Kapazität: Das Fahrzeug kann maximal acht Fahrgäste gleichzeitig befördern.
Rentabilität: Die Einnahmen aus dem Fahrdienst müssen die Betriebskosten des BürgerBus decken. Kostensenkend wirken kurze Linienwege und gute Auslastung der Touren. Rentabilität wird erst bei mindestens vier Linienfahrten pro Tag erreicht.
Kilometerleistung: Im Jahr werden an ca. 250 Betriebstagen 1.000 Touren mit ca. 40.000 Jahreskilometern durchgeführt.
Betriebskosten: Die Gesamtbetriebskosten ergeben sich aus den kilometerabhängigen Ausgaben für Kraftstoff, Bereifung und Reparaturen sowie Posten für Rückstellungen (für die Ersatzbeschaffung eines Fahrzeugs), Versicherungen, Fahrscheine, Fahrpläne, Haltesteileneinrichtungen und Gebühren, sowie für die Betreuung der 20 Fahrerinnen und Fahrer (z. B. ärztliche Untersuchungen, PKW-Anreise zum 'Dienstort'). Der BürgerBus Kreuztal kommt - bei einer Jahreskilometerleistung von 20.000 km - auf Gesamtbetriebskosten in Höhe von ca. 0,85 €/km.
Fahrtgastaufkommen: Die Fahrtauslastung in den ersten Betriebsjahren kann mit 25 % angesetzt werden. Die Fahrgäste unterteilen sich in die Tarifgruppen Erwachsene (65 %), Schwerbehinderte (30 %) und Kinder (weniger als 5 %).
Fahrpreis und Fahrgeldeinnahmen: Für die weiteren Berechungen wird ein Erwachsenen-Fahrpreis von 1,50 € und für Kinder von 0,75 € je Fahrt angesetzt. Für die Schwerbehinderten werden vom Land Ausgleichszahlungen von ca. 1,40 €UR gewährt. Es ergibt sich nach den Werten aus dem Fahrgastaufkommen ein Durchschnittsfahrpreis von ca. 1,40 €.
Einnahmen/Ausgaben: Auf der Grundlage der Zahlen aus dem dritten Betriebsjahr ergibt sich bei Fahrgeldeinnahmen von ca. 14.000 € und Betriebskosten von ca. 17.000 € eine Deckungslücke von jährlich ca. 3.000 €. Der BürgerBus-Verein kann jedoch weitere Finanzierungsquellen erschließen: Das BürgerBus-Fahrzeug bietet genügend Werbeflächen und auch die Fahrscheine können als Werbeträger vermarktet werden.

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Herausgeber
Redaktion: Achim Walder - Ingrid Walder
Text: Achim Walder und Freunden
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